Noch Optionen / auf Bier oder Bohnen?
Heute regnen die Scheinchen / tag drauf das arm' Schweinchen.
Doch den größten Hampelmann / macht einer beim Börsengang.
Schau, wie toll ich bin / mach den größten Gewinn.
Auch mit dem letzten Dreck / pack die Kohle und bin dann mal weg.
Wertberichtigung
Roman, Worte-Taten-Verlag, 252 Seiten, 1. Auflage 2008, 18,80 Euro
Zitate
Kurstableau
Das alte rote Backsteingebäude stand in einer Nebenstraße der Reeperbahn, auf der ruhigen Seite des Kiezes. Gebaut zwischen den Kriegen, hatte es bessere Zeiten gesehen – als die Fenster noch schlossen und der Wind nicht als ungefragte Ventilation durch die Mauerritzen pfiff. Damals war es wohl keine Tanzschule gewesen, vielleicht eine Behörde, eine Schule, eine Handwerksmanufaktur. Es hatte einen Krieg überlebt, der St. Pauli mit Feuer übergossen und die Häuser mühelos wie Pappe abgefackelt hatte. So war es ein stummer Zeuge, übrig geblieben aus der Zeit, als in Hamburgs Peripherie die Öfen vor rotem Backstein glühten, der überall in der Stadt zu Arbeitervierteln, Fabriken und öffentlichen Gebäuden verbaut wurde, die den elitären Großbürgerhäusern der Gründerzeit den Spiegel erdiger Bodenständigkeit vorhielten.
Jenseits der blinkenden Lichter und üppigen Tabledance- und Eros-Shop-Angeboten warteten keine Damen mehr, die von einem auf das andere Bein wechselnd den Herren ihr lässig-flötendes bis krächzend-dominantes „Bleib doch mal stehen“ hinterherraunten/-riefen. Hierher verirrten sich nur noch wenige der aus den Reisebussen, den Zügen, den Autos mit den fremden Nummernschildern ausgespuckten Besucher, Touristen, Weltenbummler.
Stattdessen schlurften alte kleine Frauen in zerschlissenen Schuhen mit Kippe im Mundwinkel über den Gehweg, mit derbem schmalem Gesicht und wetterfestem Mantel. Zerzauste, vergeistigt blickende Studenten lugten aus schummrigen Hauseingängen hervor. Alte Männer in bekleckerten Pantoffeln ließen sich von ihren Promenadenmischungen ausführen und Arbeitslose nahmen die Handvoll Kneipen in Beschlag mit den vom Nikotin der Jahre vergilbten Vorhängen und den Billigholzvertäfelungen an den Wänden. In jeder dieser Einrichtungen hing ein Wimpel vom FC St. Pauli, manchmal ein Mannschaftsfoto mit Unterschriften….
Der dritte Stock
Die Fensterläden waren geschlossen. Das trübe Tageslicht schaffte es kaum in die Tiefe des Raums. Luis saß missgelaunt an einem Schreibtisch, über den sich der künstlich-kalte Schein einer Neonleuchte ausbreitete. Er stierte vor sich hin, ab und zu betrachtete er den Bildschirm des arbeitenden Computers. Einer seiner Untergebenen betrat den Raum.
„Hast du schon Bescheid, ob wir mit dem Wettsystem weitermachen können?“, fragte er. Luis war abwesend und tauchte erst allmählich aus den Tiefen seiner Gedanken auf. Als er Ciegos Stimme hörte, drehte er sich ruckartig wie ein Sekundenzeiger um.
„Die Russen werden sich wohl fürs Erste zurückziehen. Ihnen ist das Geschäft zu heiß geworden. Ernest versucht, seine Partner bei Laune zu halten und setzt alles daran, diesen entlaufenen Sträfling wiederzufinden. Er weiß, dass Esteiner noch in der Stadt ist. Seine Freundin sucht nach ihm. Aber solange der Deutsche hier in Barcelona frei herumläuft und wir nicht wissen, ob er seine etwaigen Infos der Polizei verraten hat, liegt das Projekt auf Eis.“
„Das ist nicht so gut, Chef. Wir haben viel dafür gearbeitet.“
Ein Zittern durchlief seinen massigen Körper. Luis sah Ciego mit stechenden Augen an: „Ich habt vor allem viel verhindert. Wenn ihr nicht so blöd gewesen wäret, hätten wir alle einen entspannten Deal abschließen können. Aber ihr seid dümmer als die Andreasspalte tief. Eure Väter scheinen euch jeden Rest von Gehirn, mit dem ihr auf die Welt gekommen seid, rausgeprügelt zu haben.”…
Der Widersacher
Jordi schlenderte von Grabplatte zu Grabplatte. Der warme Wind blies Staub über den Platz. Größe und Verzierungen der Steine ließen vermuten, dass hier die vermögende Familien lagen. Er las die Namen Viladeval, Martori, Soriano, Gutierrez, Ferrer, Oseti, San… ‚Moment mal’, durchrauschte es Jordi. Was stand da?
„Willst du den Toten deinen billigen Service verkaufen?“, brach plötzlich eine Stimme in seine Gedanken ein. „Die können sich zwar nicht wehren, dafür aber auch nicht zahlen“, ergänzte der Mann gehässig und ließ ein heiseres Lachen hören. Jordi fuhr herum. Er hatte Ernest seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen und hätte ihn auch nicht wieder erkannt, so fett war er unter dem dunklen Anzug. Der Speck quoll über den Kragen seines schwarzen Hemdes, das Mühe hatte, seinen Leibesumfang zu bedecken, ohne dass die Nähte platzten. Die Bügel einer dunklen Sonnenbrille zerpflügten das schüttere rötliche Haar. Wie geölt glänzten die Halbglatze und die feisten Wangen.
„Ernest?“, sagte Jordi tonlos. „Lange nicht mehr gesehen.“
„Zum Glück“, erwiderte Ernest widerwillig und verschränkte seine kräftigen Arme vor der Brust.
Die Stadt
Er saß auf einem Stein unweit der Zahnradbahn, die den Montjuic mit der Stadt zu seinen Füßen verband – mit dem unbändigen, quirligen Häusermeer, das so aussah als wäre es einst von den Bergen des Hinterlands ausgeworfen worden und dann zäh die Hänge hinab gelaufen.
Doch alles andere als erstarrt: es brodelte weiter wie ein Eintopf, dessen Dampf die Stadt eindunstete. Am Horizont glitzerte das von der Sonne überflutete Meer wie Alufolie.
Das Personal
„Ich bin jemand, der sich von den Schönheiten des Lebens lieber selber überzeugt, als sich auf die Worte zu ihrer Beschreibung allein zu verlassen. Finden Sie nicht auch?“
Dabei sah er sie aus seinen dunkelbraunen Augen an, die er wie einen Mantel über sie warf. Sie spürte die wilde Energie, die sie zu fassen versuchte. Mit Mühe konzentrierte sie sich auf die Leckereien hinter der Vitrine. Sie suchte sich knusprige Hühnchenschenkel und gefüllte Paprika aus. Montoya bestellte gebackene Kartoffeln mit scharfer Soße sowie zwei Gläser prickelnden Cava dazu.
Normalerweise trank Jeanette so früh am Tag keinen Alkohol, doch diesmal ließ sie es geschehen. ‚Schließlich bin ich in Spanien’, sagte sie sich. Montoya stieß mit ihr an und testete den Tropfen.
„Ausgezeichnet“, sagte er. „Cava ist eine Spezialität unseres Landes. Er wird genauso hergestellt wie Champagner. Kenner behaupten, der einzige Unterschied zu dem französischen Tropfen sei der, dass er besser schmecke.“
Montoya lachte breit und zeigte eine saubere Zahnreihe mit zu den Mundwinkeln hin spitzen Eckzähnen. Jeanette erinnerten sie an ein Raubtier, zumal Montoya auch volle Lippen hatte, die Fleisch sicherlich fest umspannen konnten.